FERDINAND HODLER (1853-1918)
FERDINAND HODLER (1853-1918)

Entzücktes Weib, 1911

Details
FERDINAND HODLER (1853-1918)
Entzücktes Weib, 1911
unten rechts signiert 'F. Hodler'
Oel auf Leinwand, in Originalrahmen
170 x 85 cm
Provenance
direkt von Ferdinand Hodler an die Familie des heutigen Besitzers

Lot Essay

Die imposante grossformatige Komposition Entzücktes Weib, 1911, ist unpubliziert und darf somit als bedeutende Entdeckung gewertet werden. Im Unterschied zu den drei anderen bekannten, in den Massen nur wenig abweichenden Fassungen im Kunstmuseum Solothurn, im Genfer Musée d'Art et d'Histoire sowie in Privatbesitz, welche alle die Jahreszahl 1911 tragen, ist das hier vorgestellte Gemälde nicht datiert. Glücklicherweise hat sich aber ein Begleitbrief von Hodler zum Werk (ist dem Gemälde nicht beigegeben) erhalten, der das Datum 20.4.1911 trägt. Sämtliche vier Fassungen dürften somit in kurzer Folge im Frühjahr 1911 entstanden sein.

Transkription von Ferdinand Hodlers Schreiben:
'Genève, le 20
Monsieur,
En vous remerciant
je vous accuse réception
de votre chèque de 900 fr.
montant des tableaux
acquis par vous. Je
viens d'être absent deux
ou trois jours, c'est
pourquoi les tableaux
ne vous ont pas
encore été expédiés
mais je le ferai
au commencement
de la semaine qui
vient.
Veuillez agréer, Monsieur,
mes salutations distinguées.
Votre dévoué
Ferd. Hodler'


Hodler hat öfters mehrere Fassungen von dem selbem Thema gemalt. Dies geschah einerseits aus arbeitsökonomischen Gründen, andererseits entsprach dieses Vorgehen aber auch Hodlers Hang zur stetigen Perfektionierung eines Bildgedankens. 1911 war der Künstler auf dem Zenit seines Erfolgs und somit ein vielbeschäftigter Mann. Seine Werke waren besonders in Deutschland beliebt. Im März des Entstehungsjahres des Entzückten Weibes verkauft Hodler allein an Frankfurter Kunsthändler Gemälde für Fr. 44'000.--! Er wird immer häufiger zu Ausstellungen eingeladen und von der Kritik gefeiert. So war gleichzeitig eine Fassung des Entzückten Weibes im März 1911 an der XXI. Ausstellung der Berliner Sezession und eine zweite bei Paul Cassirer zu bewundern.
Ein Berliner Korrespondent fasst seinen Eindruck vom Entzückten Weib in folgende Worte: "[...] Und doch ist dieser Männermaler zugleich ein Frauenmaler grossen Stiles. Nicht nur die Jungfrau gelingt ihm, er liebt das entschlossene Weib, rassige Körper, die Mütter werden, ohne zu altern. Frauen ohne Träume, aber nicht ohne Phantasie. [...] Malte er früher - sehr selten - eine einzelne Gestalt, so wirkte sie doch wie ein Ausschnitt aus einem symphonischen Reigen. Jetzt fängt er an, das einzelne zu lieben. Entzücktes Weib heisst eines der letzten Bilder; kein früheres könnte so heissen. Keine Empfindung und kein Symbol: dies ist der Affekt des einzelnen Menschen, alle rhythmische Strenge ist aufgelöst, Freiheit bewegt die Gestalt. Dies ist auch keine Schweizerin, sie kommt vom Süden." (Berliner Tagblatt, 28.3.1911)
Die "vom Süden kommende" Frau ist tatsächlich Italienerin, mit Namen Giulia Leonardi, die als Gitarristin und Sängerin in einem Genfer Kaffeehaus auftrat, wo ihr Hodler 1910 begegnete und sie, von ihrem südländischen Temperament und ihrer herben Schönheit gefangen, sogleich als Modell engagierte. In den folgenden drei Jahren begegnete man ihr sowohl in ganzfigurigen Kompositionen, darunter Entzücktes Weib und in der nach links schreitenden Figur der La Romanichelle, als auch in einer Reihe von Bildnissen. Die zigeunerhaften Züge - La Romanichelle bedeutet Zigeunerin - der glutvolle, die Sinne betörende Blick und das verwirrende Lächeln dieser Frau, nach Brüschweiler geradezu eine "„Heraufbeschwörung von Leonardos Joconda", mochten Hodler immer wieder von neuem fasziniert haben; doch die eigentliche künstlerische Herausforderung lag woanders. Wie bei andern einfigurigen Frauendarstellungen, z.B. der Heiligen Stunde mit Getrud Müller als Modell, ging es dem Künstler darum, den Kopf oder Körper der Dargestellten im Bildgeviert auf spannungsvolle Weise zu verankern und ihm durch das gewählte Kolorit Plastizität zu verleihen. Das Entzückte Weib, deren Haltung und Gestik Hodler in Dutzenden von Zeichnungen vorbereitet hat, entfaltet mit dem aus dem Zentrum gerückten Oberkörper, der gegenläufigen Drehung von Brust und Kopfwendung, der in der Schwebe gehaltenen Position zwischen Sitzen und Stehen, eine über das Bild hinausweisende Dynamik.
Der ausdrucksvolle Gestus der vor die Brust geführten Hände macht die starke Emotion dieses Entzückten Weibs oder - wie es der alte französische Titel noch deutlicher formuliert - dieser "Femme en Extase" glaubhaft. Bildtitel von Frauendarstellungen wie Ergriffenheit, Empfindung, Heilige Stunde oder eben Entzücktes Weib stehen oft für den Ausdruck der Bewunderung der Menschen für die Schönheit der Natur, meist dargestellt in der Form von Blumen wie in den ersten drei Fassungen des Entzückten Weibes. Bei der hier vorgestellten Fassung verzichtet Hodler ganz auf die Blumen. Dadurch kommt die spannungsvolle Kontur der Dargestellten umso deutlicher zur Geltung. Auch das Kolorit ist gegenüber den drei andern Fassungen kräftiger, so dass die Figur plastischer wirkt. Da Hodler oftmals letzte Fassungen zum Zweck einer einheitlicheren Bildwirkung grosszüger behandelte und weitgehend auf Details verzichtete, dürfen wir annehmen, dass das vorliegende Bild die letzte der vier Fassungen ist.

Wir danken Paul Müller vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, für den Textbeitrag.

Das Werk ist in Zusammenarbeit mit dem Hodler-Experten Jura Brüschweiler im Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft unter der Nr. 83376 als eigenhändige Arbeit von Ferdinand Hodler registriert.

More from SCHWEIZER KUNST

View All
View All